Donnerstag, 28. Juni 2018

J. F. FOURASTIE zur wachsenden Bedeutung des Dienstleistungssektors







J. F. FOURASTIE zur wachsenden Bedeutung des Dienstleistungssektors                                                                                              




                            GLIEDERUNG





1.                         Definition des Strukturbegriffes und des Strukturwandels in der Volkswirtschaft   



2.                         Das Fourastiésche Modell:



2.1.                      Definition der Übergangsperiode, des technischen Fortschritts und der Produktivität             



2.2.                      Die Einteilung der gesamten Volkswirtschaft in drei

                             Sektoren nach Fourastié



2.3.                      Der Einfluss des technischen Fortschritts

                            auf die gesamte Produktion und Beschäftigung



2.4.                      Die Bedeutung des individuellen Verbrauchs

                            im Fourastiéschen Modell



2.5•                      Die Entwicklung des Dienstleistungssektors innerhalb der Übergangsperiode              



2.6.                      Wie Fourastié die Zunahme des Dienstleistungssektors erklärt


2.6.1.                   "Der individuelle Hunger nach Tertiärem"



2.6.2.                   "Der kollektive Hunger nach Tertiärem"



3.                         Schlussbemerkungen




                                   Anhang

                        AI:      Literaturverzeichnis

                        AII:     Tabelle 1

                        AIII:   Tabelle 2

                        AIV:   Abbildung 2 und 3

                        AV:     Tabelle 3 und 4.




1.    Definition des Strukturbegriffes und des Strukturwandels in der Volkswirtschaft.

Innerhalb der Volkswirtschaft ist der Strukturwandel ein charakteristisches Kennzeichen sich entfaltender Entwicklungen, im Sinne einer Anpassung an sich wandelnde Rahmenbedingungen.

Wenn man von der allgemeinen Definition des Strukturbegriffes ausgeht, wobei "die Untergliederung einer inhomogenen Gesamtheit in vergleichbare Teile"[1] verstanden wird, dann bezeichnet man mit dem Begriff "Strukturwandel" die "Verschiebung, in der Proportion der Komponenten zu Abweichungen von der gleichmäßigen homogenen Entwicklung aller Teile"[2]. Die Aufgliederung der gesamten Volkswirtschaft in einzelne Wirtschaftszweige bzw. -bereiche ermöglicht eine Betrachtung des Strukturwandels unter verschiedenen Gesichtspunkten, z.B. als Veränderung der Anteile einzelner Bereiche an der Gesamtwertschöpfung, am Gesamtumsatz oder an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen einer Volkswirtschaft.

Weiterhin ermöglicht eine solche Aufgliederungs- und Betrachtungsweise eine Feststellung der globalen Entwicklungstendenz dieses Wandels, wobei saison- oder konjunkturbedingte Veränderungen nicht berücksichtigt werden dürfen. Die Anforderungs- und Fähigkeitsprofile der Beschäftigten werden durch die Zugehörigkeit eines Betriebes zu einem bestimmten Wirtschaftszweig bzw. -bereich sehr wesentlich geprägt. Sektorale Verschiebungen wirken sich deshalb immer auch auf Arbeitskräfte vielseitig aus[3]

2.    Das Fourastiésche Modell

2.1. Definition der Übergangsperiode, des technischen Fortschritts und der Produktivität.

Die Drei-Sektoren-Hypothese, die von ALLAN G.B. FISHER (1939), COLIN CLARK (1940) und JEAN FOURASTIÉ  (1949) dargestellt worden ist, drückt seit einigen Jahren den Versuch der Wirtschaftswissenschaftler aus, einerseits die Richtung des wie oben definierten Strukturwandels festzustellen, und anderseits eine Prognose darüber zu machen, was unserer heutigen industriellen Gesellschaft folgen wird. Zweck dieser Arbeit ist eine kritische Darstellung der Meinung von JEAN FOURASTIE über den Trend des sektoralen Strukturwandels und insbesondere des Dienstleistungssektors.

Was in der klassischen Wirtschaftswissenschaft keine Rolle spielt, nämlich die Zeit als historische Dimension, bildet im Fourastiéschen Modell ein sehr wesentliches Element[4].

Dies wird sofort fühlbar bei der Einführung von Fourastiéschen Begriff der Übergangsperiode und eines wirtschaftlichen Gleichgewichts vor und nach ihr (siehe noch dazu Anhang II).

Während der Übergangsperiode sollen alle Veränderungen vollzogen werden, unter dem Einfluss des technischen Fortschritts, (wie Abnahme des landwirtschaftlichen Sektors, Zusammenbruch der traditionellen Zivilisation, Industrialisierung der Gesellschaft, Anstieg des Einkommens und Wohlstandes), die einen sehr großen Teil der aktiven Bevölkerung eines Landes betreffen. Die Übergangsperiode ist somit der Zeitabschnitt, der das alte Traditionelle von dem neuen wirtschaftlichen Gleichgewicht trennt[5].

Was meint aber Fourastié mit "technischem Fortschritt"?

Als technischen Fortschritt versteht er die Anwendung neuer wissenschaftlicher Entdeckungen in der Produktion, deren Ergebnis an einem gleichzeitigen Anstieg der Gesamtproduktion und einer Einsparung an menschlichen Arbeitskräften gemessen wird[6]. Zweck der Anwendung des technischen Fortschritts ist nach Fourastié die Leistungssteigerung der menschlichen Arbeit. Diese Leistungssteigerung lasse sich durch die Produktivität der menschlichen Arbeit messen. Er definiert weiterhin die Produktivität der menschlichen Arbeit als ein Verhältnis zwischen Produktionsvolumen und Beschäftigung, wobei er die Beschäftigung als Verhältnis zwischen Konsum und Produktivität versteht, um die Produktion dem Konsum anzupassen, mit der Überlegung, dass  man produziere nur um zu konsumieren.

2.1.2. Die Einteilung der gesamten Volkswirtschaft in drei Sektoren nach Fourastié

Der technische Fortschritt ist auch das Abgrenzungskriterium, gemäß dem nach Fouristié die Wirtschaft in drei Sektoren aufgeteilt wird. Die Sektorenabgrenzung wird wie folgendermaßen vorgenommen:
  • primärer Sektor, mit mittelmäßigem technischem Fortschritt gekennzeichnet; hierzu gehört die Landwirtschaft.
  • sekundärer Sektor, mit starkem technischem Fortschritt, der dem industriellen Sektor entspricht.
  • tertiärer Sektor, mit sehr schwachem technischem Fortschritt. Er fasst alle übrigen Wirtschaftsbereiche zusammen, wie Handel, Verwaltung, Unterrichtswesen, die freien Berufe und eine große Zahl von Handwerksberufen so wie Justiz und Kirche.
Wichtig ist auch dabei für Fourastié, dass diese Klassifizierung der Waren und Dienstleistungen nach der Intensität  des technischen Fortschritts in dem Beruf, der sie hervorbringt, sehr oft identisch ist mit der ebenfalls sehr wichtigen Klassifizierung, die darin besteht, Produkte nach der Bedarfsintensität und -kapazität des Konsumenten einzuteilen[7] (siehe noch dazu Anhang III).



2.1.3. Der Einfluss des technischen Fortschritts auf die gesamte Produktion und Beschäftigung

Nach der vorangegangenen Definition des technischen Fortschritts und der Aufteilung der Wirtschaft in drei Sektoren nach dessen Intensität wird offenbart, dass im Fourastiéschen Modell nicht alle Sektoren des technischen Fortschritts gleichmäßig begünstigt werden, sondern nur die, in denen derselbe stärker ist, nämlich der primäre und der sekundäre Sektor. Die Gesamtproduktion steigt natürlich unter dem Einfluss des technischen Fortschritts, aber ihre Struktur erfährt in Bezug auf die Anteile der einzelnen Wirtschaftszweige und Sektoren an ihr eine tiefgreifende Veränderung zugunsten der Sektoren mit großem technischem Fortschritt. Dies erklärt auch partiell die Zunahme des Dienstleistungssektors nach diesem Modell; da nämlich der technische Fortschritt in Zweigen und Berufen dieses Sektors als sehr gering bis null angesetzt wird, übt er auch keinen Einfluss auf die Produktion dieses Sektors, dessen Güter und Dienstleistungen, wie es in den folgenden Kapiteln gezeigt wird, immer mehr nachgefragt werden.

Je mehr sich der technische Fortschritt in der Landwirtschaft durchsetzt, desto schneller steigt die Produktivität, und nachdem der primäre Konsum zunächst eine steigende Tendenz zeigt, erfolgt dann die Sättigung; infolgedessen muss die Beschäftigung abnehmen. Im sekundären Sektor wird zunächst wegen des großen und dringlichen Bedarfs an Arbeitskräften eine stärker steigende Tendenz festgestellt als im tertiären Sektor. Aber nach einer bestimmten Zeit wird der technische Fortschritt so stark wirksam, dass obwohl die Nachfrage ständig wächst, die Beschäftigung abnehmen muss (siehe noch dazu Abbildung 1 weiter unten)



2.1.4. Die Bedeutung des individuellen Verbrauchs im Fourastiéschen Modell.

Fourastié behauptet durch seine "natürliche Struktur des wachsenden Verbrauchs", dass bei steigendem Einkommen der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel u. ä. in demselben immer kleiner wird, dagegen der Mensch immer mehr tertiäre Güter und Dienste in Anspruch nehmen wird[8].

Er führt zwei Tabellen an (siehe dazu Anhang V) um zu zeigen wie sich die Verbrauchsstruktur unter der Wirkung steigenden Einkommens ändert, und wie die Verbrauchsstruktur der einzelnen Einkommensschichten aussieht.- Dort zeigt sich eine eindeutige Tendenz zur Sättigung des primären Verbrauchs, die sich nicht nur auf den primären Sektor beschränkt; sie ist auch im sekundären Sektor zu beobachten, jedoch in geringerem Ausmaß.

Die Genauigkeitsgrenze dieser Tabellen liegt sehr niedrig (bei rund 10%); die Ergebnisse aber dieser Untersuchungen, dass  sich nämlich bei steigendem Einkommen die Güter- und Dienstleistungsnachfrage von Produkten mit niedrigen zu Produkten mit höheren Nachfrageelastizitäten verschiebt, werden auch von neueren und genaueren empirischen Untersuchungen bestätigt[9].

Was aber heute fraglich ist, ist das Ausmaß des Einflusses der Ausgabenstrukturen der privaten Haushalte auf die Produktionsstrukturen der gesamten Volkswirtschaft. Gerade in kochentwickelten Wirtschaften, die mit einer zunehmenden Arbeitsteilung und Spezialisierung, einer immer weiterreichenden Produktionstiefe und einer ständigen Verbreitung der intersektoralen Verflechtungen gekennzeichnet sind, wird die Bedeutung des oben genannten Einflusses immer geringer. Wenn nur der Konsum der privaten Haushalte betrachtet wird, könnte man annehmen, dass dieser nichts anderes erklärt, als den Lebenszyklus der Produkte auf dem Weg vom Luxus- zum Massengut. Höhere Einkommenselastizitäten der Ausgaben der privaten Haushalte für Dienstleistungen als für Industrieerzeugnisse erlauben schließlich keine Aussagen über das Verhalten der übrigen Endnachfrager[10]

Außerdem wird im Fourastiéschen Modell kaum die Bedeutung der Auslandsnachfrage berücksichtigt. Dabei muss man bedenken, dass unter den hochentwickelten Ländern die internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen um so größer sind je kleiner das Land ist, und darüber hinaus der Anteil der Auslandsnachfrage an der Gesamtnachfrage des betreffenden Landes ( deshalb ist die internationale wirtschaftliche Verflechtung der Bundesrepublik Deutschland viel höher als die der USA).

Änderungen in den internationalen Austauschbeziehungen beeinflussen die inländische Strukturbildung wesentlich. Aus diesem Grunde wird für eine Diagnose des Strukturwandels die Berücksichtigung sowohl der Auslandsnachfrage wie auch der internationalen Austauschbeziehungen (insbesondere seit Freigabe der Wechselkurse) unerlässlich[11].

2.1.5. Die Entwicklung des Dienstleistungssektors innerhalb der Übergangsperiode.

Nach allen vorangegangenen Überlegungen stellt sich Fourastié die Entwicklung der in drei Sektoren aufgeteilten aktiven Bevölkerung wie auf der folgenden Abbildung vor:


      Abb. 1: Die Beschäftigung der Erwerbstätigen in den drei Sektoren
Entworfen und gezeichnet von Jean Fourastié: Gesetze der Wirtschaft von morgen,
1. Auflage ins Deutsche übertragen von Fildegard Krage Düsseldorf und Wien 1967, S. 216.

Diese graphische Darstellung zeigt, dass die erwerbstätige Bevölkerung zunächst aus der Landwirtschaft vertrieben wird, dann aufgrund der Produktivitätssteigerung in den verschiedenen Industriezweigen auch aus der Industrie.

Gerade dieser Beschäftigungsrückgang hat sinkende Preise und eine steigende Kaufkraft zur Folge. Die erwerbstätige Bevölkerung findet Aufnahme im tertiären Sektor, wo sich gegenwärtig aber auch nicht in der fernen Zukunft eine Saturierung der Bedürfnisse ankündigt. Im Gegenteil, je mehr sich in einem Land der technische Fortschritt durchgesetzt hat, um so knapper und teurer sind die Güter des tertiären Sektors.

Fourastié unterscheidet innerhalb der Übergangsperiode drei Phasen[12] (siehe noch dazu Anhang IV und Anhang II):
  • In der STARTPHASE wächst die Zahl der Beschäftigten im sekundären Sektor wegen des Bedarfs zum Bau der ersten Maschinen, die von Menschenhand gebaut werden mussten. Dafür mussten Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft abgezogen werden. 

  • In der EXPANSIONSPHASE offenbaren sich die Auswirkungen des inzwischen in Landwirtschaft und Industrie angewendeten technischen Fortschritts vielseitig:

    • Die Zahl der sekundären Beschäftigten wächst nicht mehr. Darüber hinaus besteht keine Notwendigkeit mehr zum Abzug von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft.
    • Es gibt in keinem Wirtschaftszweig Überfluss an Arbeitskräften, sondern überall nur mehr Zuwachs.
    • Die Vollbeschäftigung in Zusammenhang mit der Massen­produktion und den neuen Konsummöglichkeiten bewirkt einen ständigen Anstieg des Lebensstandards[13]
  • Die ABSCHLUSSPHASE  ist mit der drastischen Verringerung der Zahl der in der Industrie (sekundären) Beschäftigten gekennzeichnet, wahrend. der Anteil der tertiären Beschäftigten immer weiter zunimmt.

Fourastié schätzt, dass die Zunahme der Beschäftigten im tertiären Sektor nicht auf 100%. der aktiven Bevölkerung steigen kann, da unter den besten Voraussetzungen und Annahmen immer noch einige Menschen in Landwirtschaft und Industrie bleiben müssen, um mindestens die Maschinen zu bedienen. Er schätzt also, dass der Anteil der im primären und. im sekundären Sektor beschäftigten aktiven Bevölkerung insgesamt 20% einnimmt, 10% jeweils, ohne diese Grundtendenz zu verändern, auch wenn wir statt 10%o, 5% annehmen würden. Es bleibt also ein Anteil für die tertiären Beschäftigten, der maximal bei rund 80% liegt. Wenn die Zahl der tertiären Beschäftigten sich in einer großen Nation diesem Wert von 80% , nährt, ist die Übergangsperiode beendet.



2.1.5.1. Wie Fourastié die Zunahme des Dienstleistungssektors erklärt.

Fourastié sieht die Abwanderung aus Berufen des primären Sektors in Berufe des tertiären Sektors, gepaart mit einer tiefgreifenden Wandlung innerhalb der Berufe der beiden Sektoren und mit einer raschen Erhöhung der beruflichen Qualifikation und. der Technisierung einhergehen.
Die Abwanderung in qualifiziertere Berufe ergibt sich nach Fourastié aus zwei Gründen: einmal, weil im Durchschnitt die Berufe des tertiären Sektors größere Berufskenntnisse voraussetzen als die des sekundären und des primären Sektors und weil in jeder Berufssparte die Arbeit "wissenschaftlicher" wird.

Er betrachtet die Entwicklung der drei Sektoren am Beispiel des fortgeschrittensten Landes seiner Zeit, der Vereinigten Staaten von Amerika, und stellt fest: während in diesem Land eine gewisse Tendenz zur Sättigung an sekundären Gütern zu beobachten ist, gibt es nicht die geringste tertiäre Sättigung. Zur Erläuterung dieses Phänomens nennt Fourastié zwei Gründe[14]:



2.1.5.1.1. "Der individuelle Hunger nach Tertiärem"

Dieser erste Grund bezieht sich auf das Verhalten des Individuums während und nach der Übergangsperiode.

Nach einer Zeit unmäßigen sekundären Konsums und täglicher Arbeit, merkt der Mensch irgendwann, dass er wenig Zeit hat diese Güter, die er gekauft hat, auch zu genießen oder zu benutzen. So beginnt er immer mehr Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, um Zeit zu sparen. Dabei muss man noch bedenken, dass die Kaufkraft des durchschnittlichen Menschen nicht unbegrenzt ist, er also für die Inanspruchnahme eines tertiären Dienstes auf einen nicht so notwendigen sekundären Konsum verzichten muss.

Dagegen bleiben Dienstleistungen aus Berufen des tertiären Sektors gefragt, gleichgültig, ob es nun darum geht, dass die Milch ins Haus geliefert werden soll, oder ob es sich um Schulbildung, Touristik, um Kinos oder Symphoniekonzerte handelt. Je reicher er wird, um so mehr steigt auch sein Bedarf an Dienstleistungen; denn Dienstleistungen schenken dem sich unter Zeitdruck befindenden Menschen Zeit, z.B. bei der Lieferung von Waren ins Haus oder bei der Inanspruchnahme einer Haushaltsgehilfin.

Dazu muss man noch rechnen, dass er eine gute Bildung für sich und. seine Kinder fordert, und seinen persönlichen Geschmack verfeinert, wie z.B. keine Konfektionskleidung mehr, guten Wein usw.



2.1.5.1.2. "Der kollektive Hunger nach Tertiärem"

Dieser zweite und wichtigere Grund bezieht sich auf das Verhalten der gesamten Volkswirtschaft in ihren verschiedenen Institutionen und Wirtschaftszweigen gegenüber der sich aus dem technischen Fortschritt ergebenden Situation. "Der technische Fortschritt entspringt aus der wissenschaftlichen Arbeit und seine Verwirklichung erfordert ge­dankliche Vorbereitung, Organisation und Planung der industriellen Aufgaben... Bei manuellen Beschäftigungen ermöglicht der technische Fortschritt durch die Verwendung mechanischer Energie eine starke Erhöhung der Produktivität. In den geistigen Berufen wurden hingegen keine wesentlichen Fortschritte gemacht; trotz Telefon, Schreib-, Buch­führungs- und hochentwickelten Rechenmaschinen braucht man heute ebenso viel Zeit (und im allgemeinen sogar mehr) als früher, um einen Fall zu klären, Arbeitsplätze aufzustellen, Personal einzustellen, Aufgaben abzugrenzen und ein Geschäft oder eine Rechtssache vorzubereiten"[15].

Fourastié stellt sich die zukünftige Produktion als einen sehr komplizierten Mechanismus vor, in dem ein erdrückend großer Teil der Beschäftigten zur Beobachtung, Vorbereitung, Planung und Forschung benötigt wird, während eine kleine Zahl von Arbeitskräften sie ausführen wird. Er berechnete, dass im Jahre 1948 die Wirtschaft der USA 50% ihrer aktiven Bevölkerung im tertiären Sektor beschäftigte und hatte folgenden Gedanken[16]:

Wenn die Produktivität konstant bliebe, dürften die USA nicht hoffen, dass sie ihre tertiäre Produktion in der Zukunft verdoppeln könnten, weil sie sonst die Gesamtheit ihrer aktiven Bevölkerung in den tertiären Sektor versetzen müssten. Das Meiste, das erreichen könnten, wäre eine Steigerung des Anteils der tertiären Beschäftigten auf 80-höchstens 90% der gesamten Beschäftigten, um somit eine entsprechende Erhöhung der tertiären Produktion zu verwirklichen, da der geringe technische Fortschritt in diesem Sektor keine drastische Produktivitätssteigerung bewirken kann, die erst mal die Zunahme der Beschäftigten dieses Sektors anhalten und eventuell später sogar senken könnte (wie es z.B. der Fall im industriellen Sektor ist). Er rechnet jedoch mit einer langsamen Aufbesserung der tertiären Arbeitsproduktivität, schließt aber auch in den reichsten Ländern eine Verdoppelung der damaligen (1948) Arbeitsproduktivität und eine Vervierfachung der damaligen tertiären Produktion vor dem Jahre 2000 aus, unter der Voraussetzung, dass die Arbeitszeit nicht verkürzt wird. Im Hinblick aber auf den individuellen Verbrauchsbedarf im Jahre 2000 wird von Fourastié eine Vervierfachung der dem einzelnen Verbraucher zur Verfügung stehenden Menge an tertiären Gütern und Diensten als lächerlich wenig bezeichnet Er hält sogar die Annahme nicht für übertrieben, dass eine Sättigung an tertiären Gütern und Dienstleistungen nicht vor einer Verzwanzigfachung des tertiären Verbrauchs zu erwarten ist.



3. Schlussbemerkungen
Aus den letzten Fourastiéschen Überlegungen geht deutlich hervor, dass es in der Zukunft zu einem Engpass wegen der Knappheit der tertiären Güter und Dienstleistungen im Vergleich zu ihrer Nachfrage für die Menschheit kommen soll; außerdem soll der zukünftige Wohlstand gefährdet sein, wegen der außerordentlichen Steigerung der tertiären Preise.

Heute werden die Vorstellungen von Fourastié wie auch seine Einteilung der Wirtschaft in drei Sektoren nicht vorbehaltlos akzeptiert. Die Kritikpunkte setzen vor allem bei der Zuordnung der Wirtschaftszweige zu den einzelnen Sektoren gemäß dem gestellten Abgrenzungskriterium ein; es gäbe nämlich danach auch Bereiche, die einen technischen Wandel erleben, die früher nicht betroffen wären.

Aus diesem Grunde kämen die innerhalb der Sektoren stattfindenden umfangreichen differenzierten Strukturverschiebungen, wie z.B. Veränderung der Betriebsgrößen, der Erwerbstätigenstruktur, der Güterproduktion und der Wertschöpfung, nicht zum Ausdruck.

Insbesondere halten aber viele Kritiker die Abgrenzung des Dienstleistungssektors für unhaltbar:

Sie meinen, dass Fourastié die Innovation der Mikroelektronik und Informationsbearbeitung nicht vorhersehen konnte und deshalb einen Dienstleistungssektor definiert hat, der die Informationsbearbeitung umfasst. Aus diesem Grund wurden im Rahmen einer OECD- Aktivität Überlegungen angestellt, auf der Basis der Definition eines "Informationssektors" einen vierten Sektor zu definieren. Für die Bundesrepublik Deutschland liegt ein Arbeitspapier vor, in dem für das Jahr 1976 der Anteil der Erwerbstätigen, die dem Informa­tionsbereich zugeordnet werden können, bei etwa 38% lag[17].

Außerdem seien auch im primären und sekundären Sektor Dienstleistungsberufe zu finden, die heute noch nicht statistisch ausgewiesen werden, obgleich sie dem tertiärem Sektor zugeordnet werden müssten.

Es ist zwar richtig, dass Fourastié immer wieder den einzelnen Sektoren bestimmte Wirtschaftszweige zuordnete, doch betonte er ausdrücklich, dass es sich hierbei um keine katalogisierte Aufzählung handelt, sondern um eine Vereinfachung der Darstellungen und Erläuterungen[18]. Für ihn ist ausschließlich der technische Fortschritt für die Einordnung eines Wirtschaftszweiges maßgebend, d.h. die Inhalte der einzelnen Sektoren sind im Zeitablauf veränderlich[19]. Fraglich ist allerdings unter dem Gesichtspunkt eines derartigen technischen Fortschritts die Prognose von Fourastié bezüglich der zukünftigen Entwicklungstendenz: Mit dem Eindringen der Mikroelektronik in viele Wirtschaftsbereiche, die er damals dem tertiären Sektor zuordnen konnte, könnten die Beschäftigtenanteile in der tertiären Zivilisation von den antizipierten Strukturen deutlich abweichen.








Anhang I

Literaturverzeichnis



DOSTALI WERNER: Bildung und Beschäftigung im technischen Wandel. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Beitrag 65. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit; 2. Auflage, Nürnberg 1983; S. 28 - 33.

FOURASTIE, JEAN: Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts. 3. Auflage ins Deutsche übertragen von B. Lutz, Köln/Deutz 1954.

FOURASTIE, JEAN: Gesetze der Wirtschaft von morgen.
1. Auflage ins Deutsche übertragen von Hildegard Krage, Düsseldorf und Wien 1967.

FOURASTIE, JIAN: Die 40.000 Stunden. Aufgaben und Chancen der sozialen Evolution.
1. Auflage ins Deutsche übertragen von Hildegard Krage. Düsseldorf und Wien 1966.

KLAUDEL, WOLFGANG; G. KÜHLEWIND; P. SCHNUR; M. THON: Mittel- und längerfristige Arbeitsmarktprojektionen des  IAB (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Beitrag 16). Herausgeber: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) Nürnberg 1977. S. 89 - 126.

KUZNETS, SIMON: Economic growth of nations. Total Output  and production structure. Cambridge/Mass 1971. S. 144 - 148 und 250 - 253.

NIEHANS, J.: Strukturwandlungen als Wachstumsprobleme, in: Neumark, F. (Hrsg.): Strukturwandlungen einer wachsenden Wirtschaft (Schriftenreihe des Vereins für Sozialpolitik, Band 30/I), Berlin 1964. S. 18 - 45.

STARK, J: Sektorale und regionale Strukturwandlungen und Strukturpolitik, in: Stark, J./Doll, M. (Hrsg.): Strukturpolitik im ländlichen Raum (Festschrift zum 65. Geburtstag von H. Röhm), Stuttgart 1978. S. 123 - 133.

THOBEN, CHRISTA: Strukturdiagnose in der Marktwirtschaft, Schriftenreihe des rheinisch - westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Essen. Heft 40. S. 26 - 29.

WEISBARTH, INGE: Bildungs- und Beschäftigungssystem im Wandel. Europäische Hochschulschriften, Reihe V: Volks -und Betriebswirtschaft. Frankfurt am Main 1983; S. 105-116.

WILLEMS, MANFRED: Strukturpolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Band 2, 2. Auflage, München 1985; S. 363 - 399.

Anhang II

Tabelle 1:Die allgemeinen Kennzeichen der Übergangsperiode


Quelle: Fourastié, Jean: Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts. 3. Auflage, ins Deutsche übertragen von B. Lutz, Köln/Deutz 1954, Seite 279.



Anhang III

       Tabelle 2
Quelle: Fourastie, Jean: Gesetze der Wirtschaft von morgen. 1. Auflage ins Deutsche übertragen von Hildegard Krage. Düsseldorf und Wien 1967; S. 29.



Diese K1assifizierung begründet Fourastié wie folgt: Obwohl. der Bedarf der Menschheit an Nahrungsmitteln am stärksten ist, tritt dort eine Saturierung am ehesten ein, weil wir eben, wie er bildhaft beschreibt, nur einen einzigen Magen haben. Mit einer Saturierung bei den Produkten des sekundären Sektors ist so bald nicht zu rechnen, denn um sie auszuwerten, braucht der Mensch sie nicht erst anzuverwandeln.

Die Produkte und Dienstleistungen des tertiären Sektors sind nicht so lebensnotwendig; sie werden jedoch von den Bevölkerungsgruppen mit hohem Lebensstandard immer mehr gefragt. Sie befriedigen den Bedarf an Freizeittätigkeiten (wie z.B. Theater, Schauspiel, Kunst, Tourismus) oder schaffen eine bessere Organisation und Ablauf der wirtschaftlichen Tätigkeiten (wie z.B.. Dienstleistungen im Handelsverkehr, im Bereich der Industrie und des Unternehmens). Zum Teil sind sie auch für die primäre und sekundäre Produktion unersetzlich (wie z.B. Bildungswesen, Forschung, Verwaltung).


Anhang IV



Abb. 2: Die Übergangsperiode (Entwicklung der Beschäftigungsstruktur)




Abb. 3

Entworfen und gezeichnet von Jean Fourastié: Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts, 3. Auflage, ins Deutsche übertragen von B. Lutz. Köln/Deutz 1954, Seite 135 f.

Anhang V

Tabelle 3: Veränderungen in der Verbrauchsstruktur unter der Wirkung steigenden Einkommens (Preußen, 1860)


Tabelle 4: Verbrauchsstruktur der einzelnen Einkommensschichten (USA, 1929)
Quelle: Fourastie, Jean: Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts, 3. Auflage, ins Deutsche übertragen von B. Lutz, Köln/Deutz 1954; Seite 85 f.

[1] Willms, Manfred: Strukturpolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und
      Wirtschaftspolitik, 2. Auflage München 1985; S. 363.
[2] Niehans, J.: Strukturwandlungen als Wachstumsprobleme, in: Neumark, F.(Hrsg.):
      Strukturwandlungen einer wachsenden Wirtschaft (Schriftenreihe des Vereins für Sozialpolitik,
     Band 30/1), Berlin 1964; S. 19.
  [3] Weisbarth, Inge: Bildungs- und Beschäftigungssystem im Wandel. Europäische
       Hochschulschriften, Reihe V: Volks-und Betriebswirtschaft. Frankfurt am Main 1983; S. 106.
  [4] Vgl. Fourastie, Jean: Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts; 3. Auflage ins Deutsche
        übertragen von Burkart Lutz, Köln/Deutz 1954; im Vorwort des Übersetzers, S. 16 f.
  [5] Vgl. Fourastie, Jean: a.a.O., S. 127 f.
  [6] Vgl. Fourastie, Jean: Gesetze der Wirtschaft von morgen. 1. Auflage ins Deutsche übertragen von
        Hildegard Krage, Düsseldorf und Wien 1967; S. 25, 30 und 252.
  [7] Fourastié, Jean: a.a.O., S. 28.
  [8] Kuznets, S.: Economic growth of nations. Total Output and production structure. Cambridge/Mass
       1971, S. 111.
[9] Kuznets, S.: a.a.O.

[10] Vgl. Thoben, Chr.: Strukturdiagnose in der Marktwirtschaft, Berlin 1977. Schriftenreihe des
        rheinisch- westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Essen. Heft 40, S. 26.

[11] Vgl. Thoben, Christa: a.a.O., S. 28 f.

[12] Vgl. Fourastié, J.: Die große Hoffnung des zwanzigsten Jahrhunderts. 3. Auflage ins Deutsche
        übertragen von B. Lutz. Köln/Deutz 1954; S. 133 ff.
[13] Lebensstandard eines Volkes ist die Kaufkraft seines Einkommens ausgedrückt in Geld
        (Fourastié, J.: a.a.O., S. 242).

[14] Vgl. Fourastié, J.: a.a.0.: S. 274 ff.

[15] Fourastié, Jean: a.a.O., S. 276.

[16] Vgl. Fourastié, Jean: a.a.O., S. 271 ff.

[17] Dostal, Werner: Bildung und Beschäftigung im technischen Wandel. Beiträge zur 
        Arbeitsmarkt -und Berufsforschung, BeitrAB 65. Herausgeber: Institut für Arbeitsmarkt- und
        Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, 2. Auflage, Nürnberg 1983. S. 31.
[18] Fourastié, Jean: a.a.O., S. 80 f.
[19] Fourasti6, Jean: a.a.O., S. 138 sowie Fourastié, Jean: Gesetze der Wirtschaft von morgen.
    1. Auflage ins Deutsche übertragen von Hildegard Krage, Düsseldorf und Wien 1967; S. 212.





















Donnerstag, 17. Mai 2018

ÖFFENTLICHE GÜTER UND AUSGABENENTSCHEIDUNGEN IN DER DEMOKRATIE

1. EINFÜHRUNG

  Samuelson[1] hat in einem Modell mit öffentlichen und privaten Gütern die Bedingung für globale Effizienz abgeleitet und ein allgemeines Gleichgewicht für den Zwei-Güter-Fall auch grafisch[2] ermittelt. Demnach muss die Summe der individuellen Grenzraten der Substitution zwischen dem öffentlichen und dem privaten Gut der Grenzrate der Transformation (auf der Transformationskurve) entsprechen. Offen ließ er jedoch die Frage, wie die wahren Präferenzen der einzelnen Individuen zu ermitteln sind. Die neigen vielmehr dazu, falsche Präferenzen anzugeben, damit sie einen möglichst kleinen Anteil der Kosten der Bereitstellung des öffentlichen Gutes tragen müssen (sog. „Trittbrettfahrer“-Verhalten).

 Als Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich an, die Individuen über die bereitzustellende Menge abstimmen zu lassen. Die beschlossene Menge kann dann realisiert werden. Da es sich hierbei um demokratische Abstimmungsregeln handelt, muss als Ergebnis des Abstimmungsverfahrens die Menge bereitgestellt werden, die eine breite Zustimmung der Gesellschaft findet.
 Eine andere wichtige Frage ist, inwieweit die beschlossene Menge auch im Sinne der obigen Samuelson-Bedingung auch pareto-optimal ist. Im folgenden werden einige Abstimmungsregeln dargestellt und auf ihre Pareto-Optimalität hin geprüft. Dabei werden solche öffentlichen Güter betrachtet, für die die Nicht-Rivalität im Konsum gilt und ein Ausschluss von ihrer Nutzung nicht möglich ist.

   Je nachdem ob die Mitglieder einer Gemeinschaft selbst über das Ausmaß der Bereitstellung von öffentlichen Gütern abstimmen oder von ihnen gewählten Vertretern diese Aufgabe übertragen, wird zwischen direkter und indirekter Demokratie unterschieden. In Abschnitt 3 werden zwei Abstimmungsregeln der direkten Demokratie behandelt, die Einstimmigkeitsregel und die Mehrheitsregel. Anschließend wird in Abschnitt 4 die indirekte (repräsentative) Demokratie dargestellt.

 2. DIREKTE DEMOKRATIE
 2.1. Einstimmigkeitsregel
 Das Modell, das auf Wicksell[3] zurückgeht, sieht folgendes vor:
Es soll über ein Gesamtpaket abgestimmt werden, bei dem die Einführung des öffentlichen Konsumgutes oder die Änderung der bereitgestellten Menge mit einem Vorschlag über die Steuerlastverteilung gekoppelt wird.
 Jeder Abstimmungsberechtigte kann weitere Vorschläge zu demselben Problemkreis einbringen.
Das Abstimmungsverfahren wird so lange fortgesetzt, wie sich Einstimmigkeit erzielen lässt.
Auf diese Weise endet man schließlich in einer pareto-optimalen Situation.
 Wicksell geht bei seinen Überlegungen davon aus, dass die Bereitstellung von öffentlichen Gütern von allen Bürgern als etwas Positives angesehen wird. Gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, eine Menge bereitzustellen, bei der der voraussichtliche Nutzen die Kosten (= Steuerlast) übersteigt, dann gibt es bei gegebener Menge mindestens eine Steuerlastverteilung, bei der gegenüber der Situation ohne diese Menge für jeden Bürger sich einen Nettovorteil ergibt. Diese Steuerlastverteilung müsste dann einstimmig bewilligt werden. Bei diesem Abstimmungsverfahren gibt es also im Gegensatz zu anderen Verfahren nur Gewinner[4].
 Das Problem bei der Einstimmigkeitsregel ist, dass es nicht eine sondern eine große Zahl von Steuerlastverteilungen gibt, bei denen jeder Abstimmungsberechtigte aus der Bereitstellung einer bestimmten Menge einen Nettovorteil zieht[5].

 Dieses Problem wird in Abb. 1 dargestellt:

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 Abbildung 1: Quelle: Arnold, V. a.a.O., Seite 110. X sei das private Gut und Y das öffentliche Konsumgut.

Die Gemeinschaft besteht aus den Konsumenten I und II. Vor Einführung des öffentlichen Gutes Y verbrauchen die Individuen insgesamt die Menge OT des privaten Gutes (I die Menge OR und II die Menge RT) und realisieren Punkt T auf der Transformationskurve TT´. Es wird nun der Vorschlag eingebracht, die Menge Y´ des öffentlichen Gutes bereitzustellen. Die Kosten der Bereitstellung entsprechen der Strecke ST (Opportunitätskosten[6]). I müsste dann maximal auf die Menge OR-Y´L = KL des privaten Gutes verzichten, II die Menge RT-NM = KM+ST ohne sich gegenüber dem Ausgangszustand zu verschlechtern.
 Insgesamt müssten I und II maximal auf die Menge ML+ST des Gutes X verzichten, während die Kosten der Bereitstellung von Y nur ST betragen. Es ist demnach möglich, die Kosten ST so auf die beiden Individuen zu verteilen, dass sie ihre Position verbessern (indem Kosten in Höhe von ML des privaten Gutes eingespart werden[7]). Die Frage ist jedoch, wie die Individuen um die Menge ML des privaten Gutes entlastet werden können und wie viel von den Kosten ST jeder tragen soll.
 Die große Zahl der möglichen Steuerlastverteilungen, die jeden besser stellen, wird zu strategischen Überlegungen führen. Der einzelne Abstimmungsberechtigte wird - solange er im eigenen Interesse handelt - nur derjenigen Steuerlastverteilung zustimmen, die ihm den größtmöglichen persönlichen Vorteil verspricht. Verhält sich nun jeder so, dann wird keiner der Vorschläge einstimmig akzeptiert[8]. Die Verhandlungskosten, um alle zu überzeugen, einem bestimmten Vorschlag zuzustimmen, sind mit zunehmender Größe der Gesellschaft prohibitiv hoch. Andererseits besteht die Gefahr, dass einzelne Bürger ihr Vetorecht missbrauchen, um einen hohen Preis für ihre Zustimmung zu erpressen. Damit scheitert die Einstimmigkeitsregel als Allokationsmechanismus, der ein pareto-optimales Angebot an öffentlichen Gütern garantiert, als nicht praktikabel aus.

 2.2. MEHRHEITSREGEL
 2.2.1. Das Grundmodell
 Als Alternative zur Einstimmigkeitsregel steht die Mehrheitsregel zur Verfügung. Dem Grundmodell liegen folgende Annahmen zu Grunde[9]: · Die Abstimmungsberechtigten sind gleichzeitig Konsumenten der öffentlichen Güter und Steuerzahler. Alle Abstimmungsberechtigten stimmen ab. Der Kostenbeteiligung der einzelnen Individuen zur Finanzierung der öffentlichen Güter wird generell, d.h. unabhängig vom Ausgang der Abstimmung festgelegt[10]. · Budgetdeckung ist vorgeschrieben. · Es wird über jeden Vorschlag separat abgestimmt. Eine Verbindung mit anderen Vorschlägen ist unzulässig. · Die Präferenzordnungen sind eingipflig. · Als angenommen gilt ein Vorschlag, der die einfache Mehrheit, d.h. 0,5n + 1 der n abgegebenen Stimmen, erreicht hat. · Koalitionen unter den Wählern werden wegen der hohen Verhandlungskosten als unmöglich betrachtet. Eingipfligkeit bedeutet, dass die Alternativen für jedes Individuum auf einer eindimensionalen Skala so angeordnet werden können, dass die Rangordnung der Alternativen, ausgehend von der besten Alternative (d.h. ihrem Präferenzgipfel) nach beiden Seiten hin monoton abfallen[11]. Je weiter die Bereitstellung von der vom jeweiligen Individuum präferierten Menge abweicht, desto schlechter die Situation für das Individuum. Im unteren Teil der Abbildung sind diese Präferenzordnungen als Kurven pA, pB und pC gekennzeichnet. Zu welchen Ergebnissen das Grundmodell führt, lässt sich anhand der folgenden Abbildung darstellen: Zur Diskussion steht das öffentliche Gut X. Es gibt der einfachheitshalber nur drei Individuen (bzw. Gruppen) A, B und C. Ihre marginalen Zahlungsbereitschaften sind mit MZAA, MZBB und MZBC dargestellt. GK sind die Grenzkosten einer Erhöhung der bereitzustellenden Menge des öffentlichen Gutes. Der Steueraufteilungsschlüssel sieht vor, dass jeder der drei Wähler 1/3 der Grenzkosten des öffentlichen Gutes trägt. Der Vorschlag, die Menge X1 bereitzustellen, wird von allen Wählern akzeptiert, weil bis X1 die MZB von jedem Wähler größer oder gerade gleich groß ist, wie der Beitrag, den er für zusätzliche Einheiten von X ohnehin leisten muss. Größeren Mengen als X1 stimmt A nicht mehr zu. B und C wünschen jedoch größere Mengen von X. Der Menge X3 stimmt B gerade noch zu.
Der würde auch C zustimmen, weil er noch größere Mengen wünscht.

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 Abbildung 2: Quelle: Blankert, Charles B.: Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2. Auflage, München 1994, S. 109.

 Für die Menge X3 gibt es demnach eine einfache Mehrheit, sie könnte realisiert werden. Höhere Mengen akzeptiert nur noch C, für sie gibt es also keine Mehrheit mehr. Der entscheidende Wähler in diesem Verfahren ist also der mittlere Wähler, der genau gleich viel Stimmen über wie unter sich hat. Dieser sog. Medianwähler gibt dann den Ausschlag über die bereitzustellende Menge des öffentlichen Gutes und die Höhe des Budgets. Die Menge X3 stellt insofern das Medianwählergleichgewicht dar[12]. Die Menge X3 ist jedoch nicht pareto-optimal. Die pareto-optimale Menge liegt im Schnittpunkt der Grenzkostenkurve mit der Kurve der gesamten MZB aller drei Individuen MZB(A+B+C), weil nur an dieser Stelle die Summe der MZB den Grenzkosten entspricht. Demnach ist die Menge X2 pareto-optimal. Diese Menge liegt unter der beschlossenen Menge X3. Bei anderen Präferenzen und Kostenaufteilungen könnte die optimale Menge auch über X3 liegen. Die pareto-optimale Menge kann sich also nur zufällig ergeben.

 3.2.2. Mehrgipflige Präferenzordnungen
 Im Grundmodell wurden eingipflige Präferenzordnungen angenommen. Wird diese Annahme aufgehoben und werden mehrgipflige Präferenzen zugelassen, dann ist die Mehrheitsregel nicht mehr anwendbar. Um die Folgen von mehrgipfligen Präferenzordnungen zu verdeutlichen, werden die Präferenzordnungen der Individuen des Grundmodells wie folgt geändert[13]:

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 Abbildung 3

  Die drei Individuen sollen darüber abstimmen, welche Menge des öffentlichen Konsumgutes bereitgestellt werden soll.
 Bei wiederholten Abstimmungen gibt es folgende Ergebnisse: 

 Zwischen V und M gewinnt V mit 2:1. Es gilt    V f M.

Zwischen M und W gewinnt M mit 2:1. Es gilt   M fW.

ƒ Zwischen W und V gewinnt W mit 2:1. Es gilt   W f V.

                                                    Insgesamt gilt V f M f W f V.



Jede Alternative schlägt also die nächstfolgende, wobei insgesamt ein Zyklus entsteht. Die hier betrachtete Gesellschaft ist also bei einer Mehrheitsabstimmung nicht in der Lage, sich auf eine eindeutige Rangfolge der Alternativen festzulegen (sog. Arrow-Paradoxon). Gilt jedoch die Transitivitätsbedingung, dann folgt aus  und ‚ V f W. Zwischen dem letzten und dem ersten Vorschlag wird nicht mehr abgestimmt. Damit ergibt sich ein scheinbar eindeutiges Ergebnis. Aber auch dieses Ergebnis hängt von der Reihenfolge der Abstimmungen ab. So kann sich im obigen Beispiel auch folgendes ergeben:


Reihenfolge der Abstimmungen                                 kollektive Rangfolge
V gegen M und M gegen W                                     V f M f W
M gegen W und W gegen V                                     M f W f V
W gegen V und V gegen M                                      W f V f M

 Durch ein geschicktes Vorgehen lässt sich demnach das Ergebnis beeinflussen. Der Zyklus bei der kollektiven Rangfolge der Vorschläge und die von der Reihenfolge der Abstimmungen abhängigen Ergebnisse sind möglich, weil die Präferenzordnung des Wählers C zweigipflig ist. Wie man in der Grafik von Abbildung 3 erkennen kann, hat seine Präferenzordnung zwei maxima.
Wäre sie eingipflig, dann gäbe es auch keinen Zyklus. Zyklische Mehrheiten sind nicht auszuschließen, wenn man mehrdimensionale Präferenzen betrachtet. Die Gesellschaft müsste z.B. entscheiden, ob ein Stück Land als Fußballplatz, Wohnungsbaugrundstück oder als Biotop zu verwenden ist. Es ist dann denkbar, dass die Bürger bezüglich der Verwendung des Grundstücks als Fußballplatz, Wohnungsbaugrundstück oder Biotop eingipflige Präferenzen haben, wenn man diese Fragen separat betrachtet (Annahme 3 des Grundmodells). Wenn aber die Bürger Prioritäten zwischen den drei Möglichkeiten setzen müssen, ist die Eingipfligkeit sehr unwahrscheinlich[14]. Dann ist auch mit zyklischen Mehrheiten zu rechnen, je vielseitiger die Präferenzordnungen der Bürger sind. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass wenn mehrgipflige oder mehrdimensionale Präferenzordnungen zugelassen sind, die Ergebnisse des Grundmodells sich zusätzlich verschlechtern.

 3. ENTSCHEIDUNGEN IN DER REPRÄSENTATIVEN DEMOKRATIE
 Im Falle der repräsentativen Demokratie stimmen die Wähler nicht direkt über die Bereitstellung einzelner öffentlicher Konsumgüter ab, sondern sie wählen Vertreter (Abgeordnete), die ihrerseits über Sachfragen abstimmen. Diese werben um die Gunst der Wähler nicht mit einzelnen Vorschlägen, sondern mit einem Wahlprogramm, in dem zu mehreren Problemen zusammenhängend Stellung bezogen wird. Im Vergleich zur direkten Demokratie werden durch dieses Verfahren die Verhandlungskosten drastisch gesenkt. In dem Modell, das Downs entwickelt hat, wird die Entscheidungsfindung in der Demokratie in Analogie zu wirtschaftlichen Vorgängen erklärt[15]: Alle Beteiligten verhalten sich rational und eigennützig[16]. Die Wähler stimmen einem bestimmten Wahlprogramm zu in der Erwartung, dass ihre persönlichen Interessen (Präferenzen) durchgesetzt werden. Die Politiker verfolgen auch ihre eigenen Ziele[17]. Dabei müssen sie jedoch die Wünsche der Wähler berücksichtigen, sonst haben sie keine Chance, an die Macht zu kommen. Auf diese Weise entsteht ein politischer Wettbewerb, ähnlich wie der Wettbewerb der Produzenten um die Konsumenten, um die Stimmen der Wähler. Dabei werden (ähnlich wie bei den Konsumenten) die Präferenzen der Wähler berücksichtigt[18]. In Analogie zum Ziel der Gewinnmaximierung bei den Unternehmern, streben die politischen Unternehmer Stimmenmaximierung an. Der politische Wettbewerb sieht auf den ersten Blick ähnlich aus wie der Wettbewerbsmechanismus auf dem privaten Markt. Zu prüfen ist jedoch inwieweit die Konkurrenz zwischen den Parteien immer dazu führt, daß die Gesellschaft einen pareto-optimalen Zustand erreicht.

 3.1. Das Grundmodell[19]
  1. Es gibt in einer bestimmten Gesellschaft zwei Parteien, z.B. die Linkspartei und die Rechtspartei. Die Politiker verteilen sich auf diese Parteien.
  2. Der Inhalt der Parteiprogramme beschränkt sich auf eine einzige Frage, die eindimensional ist (z.B. wie viel von einem bestimmten öffentlichen Gut bereitgestellt werden soll).
  3. Es wird nur ein privates und ein öffentliches Konsumgut produziert.
  4. Die Wähler haben in Bezug auf diese Frage eingipflige Präferenzordnungen.
  5. Die Wähler sind Nutzenmaximierer: sie stimmen dem Programm zu, das ihren Präferenzen am nächsten liegt.
  6. Die Politiker sind Stimmenmaximierer: sie entwerfen ihr Parteiprogramm so, dass sie möglichst viele Stimmen erhalten.
  7. Es herrscht vollkommene Information in dem Sinne, dass die Wähler über die Parteiprogramme und die Parteien über die Präferenzen der Wähler vollständig informiert sind.
  8. Die Wahlbeteiligung beträgt 100%.
  9. Wahlen finden permanent statt, so dass der Zeitfaktor vernachlässigt werden kann.
  10. Die Regierung erhebt nur eine proportionale Einkommensteuer
  11. Die vorgesehenen Staatsausgaben entsprechen den geplanten Steuereinnahmen.

 Da das Bruttoeinkommen Y der Haushalte H mit einem bestimmten Steuersatz t belastet wird, beträgt ihr verfügbares Einkommen Y-tY. Bei einem Preis p des privaten Gutes ergibt sich für die Haushalte folgende Budgetbedingung[20]: Yi - pNi1 - tYi = 0[21] mit i = 1,2,...n Ni1 ist die von Hi gekaufte Menge des privaten Gutes. Ni2 sei ferner der Gesamtverbrauch des Haushaltes Hi nach dem (rein) öffentlichen Gut. Dieser entspricht der durch die Regierung bereitgestellte Menge N2. Die Mitglieder der Linkspartei (L) wünschen so viel wie möglich von dem öffentlichen Gut, ohne jedoch den Wahlerfolg zu gefährden, während die Rechtspartei ( R ) so wenig wie möglich wünscht, um die Steuerzahler zu schonen. Beide Parteien werden das gesamte Steueraufkommen zur Bereitstellung des öffentlichen Gutes verwenden. Es gibt also keine Wahlprogramme, die höhere geplante Steuereinnahmen als geplante Ausgaben vorsehen.
Für das geplante staatliche Budget[22] gilt also: n StkYi - p2Nk2 = 0[23] mit k = L, R i = 1 Wie im letzten Abschnitt bereits angesprochen, verfolgen alle Beteiligten ihre individuellen Ziele. Was insbesondere die Versorgung der Gesellschaft mit dem öffentlichen und dem privaten Gut angeht, verhalten sich alle Beteiligten auch beim öffentlichen Gut als Mengenanpasser (wie dies für private Güter bekannt ist). Ihre Entscheidungen werden durch die Preise koordiniert. Das besondere beim öffentlichen Gut ist, dass die Nachfrage kollektiv durch den Staat erfolgt. Offen bleibt jedoch noch die Frage, welche Menge des öffentlichen Gutes im Rahmen dieses Modells bereitgestellt wird und ob diese Menge pareto-optimal ist.

 3.2. Ergebnisse des Grundmodells[24]
 Die n Haushalte können zunächst nach der Größe der von ihnen gewünschten Menge des öffentlichen Gutes geordnet werden, wobei H1 die größte Menge und Hn die kleinste Menge wünscht. Hm bezeichnet den Haushalt im Median und Nm2 seine gewünschte Menge an dem öffentlichen Gut. Schlägt nun die Partei L entsprechend ihren Zielvorstellungen eine Menge NL2 > Nm2 und die Partei R entsprechend ihren Zielvorstellungen eine

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 Abbildung 4: Quelle: Bernholz, Peter: a.a.O., S. 19.

 Menge NR2 < Nm2 und ist n ungerade, dann wird eine Partei eindeutig die Wahlen gewinnen. Hat dabei z.B. die Partei R eine zu niedrige Menge des öffentlichen Gutes vorgeschlagen, wird sie die Wahlen verlieren. Da aber beide Parteien vollständig über die Wählerpräferenzen informiert sind, werden sie nicht die tatsächlich von ihnen gewünschten Mengen vorschlagen, sondern solche, die ihnen einen Wahlsieg versprechen. Partei R wird demnach nicht NR2 vorschlagen, sondern eine höhere Menge zwischen NR2 und Nm2, um zusätzliche Stimmen zu gewinnen. Denn alle Haushalte, die mehr als NR2 wünschen, würden einer höheren Menge zustimmen. Es gibt zwar auch Wähler, die nicht mehr als NR2 wünschen, sie werden aber lieber R wählen, als L, die eine noch weiter von ihrem Optimum liegende Menge NL2 realisieren möchte. Partei R kann demnach durch eine Bewegung nach links zusätzliche Stimmen gewinnen, ohne Stimmen zu verlieren. Partei R kann schließlich die Wahlen gewinnen, wenn sich weit genug nach links bewegt und eine entsprechend große Menge des öffentlichen Gutes anbietet. Ähnlich kann Partei L sich die Mehrheit sichern, indem sie sich nach rechts bewegt (falls NL2 zu hoch ist) und Stimmen gewinnt, ohne Stimmen zu verlieren. Denn alle Wähler oberhalb des Medianwählers würden auch bei einer Menge zwischen NL2 und Nm2 lieber die Partei L wählen, als R, die eine noch kleinere Menge vorschlägt. Das gegenseitige Übertrumpfen ist nur dann ausgeschlossen, wenn beide Parteien ein Wahlprogramm mit NL2 = NR2 = Nm2 vorschlagen. Jede Partei, die von diesem Programm abweichen würde, würde Stimmen an die andere Partei und damit die Wahlen verlieren. Da jedoch annahmegemäß beide Parteien über die Präferenzen der Wähler vollständig informiert sind, werden sie von Anfang an identische Wahlprogramme vorschlagen, um die Wahlen zu gewinnen. Die Wahlen selbst werden durch Zufallsfaktoren entschieden. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die bereitgestellte Menge des öffentlichen Gutes im Rahmen des Grundmodells nicht pareto-optimal sein kann, denn nur der Medianwähler realisiert seinen optimalen Konsumplan. Die Lage mehrerer anderer Haushalte könnte verbessert werden, ohne die anderer Haushalte zu verschlechtern.

 3.3. Erweiterung des Grundmodells um mehr als zwei Parteien[25]
 Bei mehr als zwei Parteien wird häufig keine der Parteien die absolute Mehrheit erreichen können. Vielmehr werden die Parteien im Parlament auf Koalitionen mit anderen Parteien angewiesen sein. Das Regierungsprogramm ist dann ein Kompromiss aus den Wahlprogrammen der an der Regierung beteiligten Parteien. In diesem Fall müssen die Wähler eine Vorstellung darüber haben, welche Koalitionsmöglichkeiten es gibt und wie schließlich das Regierungsprogramm aussehen wird. Dieser Sachverhalt bringt zusätzlich Unsicherheit und mangelnde Information und erhöht das Risiko von Fehlentscheidungen für Wähler und Parteien mit wachsender Zahl der Parteien. Das Vorhandensein von mehr als zwei Parteien erlaubt zwar den Wählern ihre Präferenzen genauer zum Ausdruck zu bringen, das Ergebnis verschlechtert sich jedoch gegenüber dem Grundmodell, da angesichts der Unsicherheit eine sinnvolle Stimmabgabe immer schwieriger und schließlich unmöglich wird.

 4. Schlusswort
 Demokratische Abstimmungsverfahren veranlassen zwar die Individuen ihre wahren Präferenzen zu zeigen, jedoch ist kaum mit pareto-optimalen Ergebnissen zu rechnen. Die Einstimmigkeitsregel garantiert als einziges Abstimmungsverfahren pareto-optimale Ergebnisse, ist jedoch aufgrund der hohen Verhandlungskosten praktisch in größeren Gruppen als Abstimmungsverfahren nicht geeignet. Die anderen Abstimmungsverfahren der direkten und indirekten Demokratie sind selbst bei den sehr restriktiven Annahmen der Grundmodelle nicht in der Lage pareto-optimale Ergebnisse zu liefern. Werden noch mehrgipflige und mehrdimensionale Präferenzen sowie mehr als zwei Parteien berücksichtigt, verschlechtern sich die Ergebnisse zusätzlich. Auf jeden Fall ist als positiv zu bewerten, dass in den besprochenen Modellen die Güterversorgung für die meisten, wenn nicht für alle Haushalte besser ist als in einer Marktwirtschaft mit vollständiger Konkurrenz. 

  [1] Vgl. Samuelson, Paul A.: The pure theory of Public expenditur, in: The Review of Economics
        and Statistics, Vol. 36, 1954, S. 387-389.
  [2] Vgl. Samuelson, Paul A.: Diagrammatic Exposition of a Theory of Public Expenditure, in:
        Review of Economics and Statistics, Vol. 37, 1955, S. 350-356.
  [3] Vgl. Wicksell, Knut: Finanztheoretische Überlegungen, Aalen 1969, S. 110 ff.
  [4] Vgl. Arnold, Volker: Theorie der Kollektivgüter, München 1992, S. 109 ff.
  [5] Vgl. ebenda, S. 110 f.
  [6] Die Menge des privaten Gutes X auf die, die Gesellschaft verzichten muss, um die Menge Y´
        des öffentlichen Gutes bereitzustellen.
  [7] Oder anders ausgedrückt: indem beide insgesamt die Menge ML des privaten Gutes weiterhin
        konsumieren dürfen.
  [8] Vgl. ebenda, S. 111.
  [9] Vgl. Blankert, Charles B.: Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2. Auflage, München 1994;
        S. 108.
[10] Die Annahme ist notwendig, damit die siegreiche Mehrheit der unterlegenen Minderheit nicht
        die gesamten Kosten der Bereitstellung des öffentlichen Gutes aufbürdet.
[11] Vgl. Blankert, C. B.: a.a.O., S. 110.
[12] Vgl. ebenda, S. 109.
[13] Vgl. ebenda, S. 110 f sowie Arnold, V.: a.a.O., 114 ff.
[14] Vgl. ebenda, S. 113.
[15] Vgl. Downs, Anthony: Ökonomische Theorie der Demokratie, Tübingen 1968, S. 7.
[16] Vgl. ebenda, S. 4 ff und 26 f.
[17] Vgl. ebenda, S. 27.
[18] Vgl. Musgrave, Richard A. /Musgrave, Peggy B. / Kullmer, Lore: Die öffentlichen Finanzen in
                Theorie und Praxis, 1. Band, 6. Auflage, Tübingen 1994, S. 140.
[19] Vgl. Downs, A.: a.a.O., S. 175 ff sowie Arnold, V.: a.a.O., S. 121 ff.
[20] Vgl. Bernholz, Peter: Grundlagen der Politischen Ökonomie, 2. Band, Tübingen 1975, S. 10 ff. [21] Jedes Individuum gibt das gesamte verfügbare Einkommen für das private Gut aus, weil es
        dadurch seine Lage verbessert.
[22] Es wird angenommen, dass die Parteien im Falle eines Wahlsieges die vorgeschlagene Menge
         bei den Unternehmungen zum Preis p2 kaufen müssen.
[23] Keine Partei kann die Wahlen gewinnen, wenn ihre vorgeschlagenen Steuereinnahmen ihre
         geplanten Ausgaben zur Bereitstellung einer bestimmten Menge des öffentlichen Gutes
         überschreiten. Die andere Partei würde sofort die gleiche Menge mit niedrigeren Steuersätzen
         oder bei gleichen Steuersätzen eine höhere Menge vorschlagen und die Wahlen gewinnen. [
[24] Vgl. Bernholz, Peter: a.a.O., S. 019 ff.
[25] Vgl. BERNHOLZ, PETER / BREYER, FRIEDRICH: Grundlage der politischen Ökonomie,
        Band 2: Ökonomische Theorie der Politik, 3. Auflage, Tübingen 1994, S. 121 ff.

Quellenverzeichnis
1. Arnold, Volker: Theorie der Kollektivgüter, München 1992.
2. BERNHOLZ, PETER / BREYER, FRIEDRICH: Grundlage der politischen Ökonomie, Band 2:
    Ökonomische Theorie der Politik, 3. Auflage, Tübingen 1994.
3. Bernholz, Peter: Grundlagen der Politischen Ökonomie, 2. Band, Tübingen 1975.
4. Blankert, Charles B.: Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 2. Auflage, München 1994.
5. Downs, Anthony: Ökonomische Theorie der Demokratie, Tübingen 1968.
6. Musgrave, Richard A. / Musgrave, Peggy B. / Kullmer, Lore: Die öffentlichen Finanzen in Theorie
    und Praxis, 1. Band, 6. Auflage, Tübingen 1994.
7. Samuelson, Paul A.: Diagrammatic Exposition of a Theory of Public Expenditure, in: Review of
    Economics and Statistics, Vol. 37, 1955, S. 350-356.
8. Samuelson, Paul A.: The pure theory of Public expenditur, in: The Review of Economics and
    Statistics, Vol. 36, 1954, S. 387-389.
9. Wicksell, Knut.: Finanztheoretische Überlegungen, Aalen 1969.